Ariane Hingst im Interview ​
"Eine Chance, die der Frauenfußball nie bekommen hat" ​

Ex-Nationalspielerin Hingst hat mit einer Gruppe die FC Viktoria Berlin Frauen übernommen. Warum das eine Revolution ist.
Ariane Hingst Expertin ZDF
Foto: IMAGO / Eibner

Die Europameisterschaft der Frauen startete gerade, da wurde Anfang Juli 2022 bekannt, dass eine Gruppe promineter Frauen rund um Ariane Hingst die Frauenmannschaft des FC Viktoria Berlin übernehmen wird. Die Investorinnen wollen das jetzige Regionalliga-Team zur Bundesliga-Mannschaft formen. Das Projekt versteht sich als innovatives Start-up - Neuland im deutschen Fußball. Wir haben mit der Ex-Nationalspielerin und heutigen DFB-Trainerin Hingst über die Übernahme und die Situation des Frauenfußballs in Deutschland gesprochen.

Ariane, wie fühlt sich das an, (Mit-)Besitzerin eines Fußballteams zu sein?
Ariane Hingst: Ach, darüber mache ich mir ehrlich gesagt gar keine Gedanken. Ich bin froh darüber, diese Chance zu haben. Trotzdem bleibt meine Hauptaufgabe der Job, den ich im DFB-Nachwuchsbereich habe.

Ihr wollt das jetzige Regionalliga-Team von Viktoria Berlin in die Bundesliga führen. Was sind darüber hinaus eure Ziele als Betreiberinnengesellschaft?
Wir wollen Viktoria als Marke aufbauen und das Team möglichst schnell in den Profi-Bereich bringen. In fünf Jahren wollen wir in die Bundesliga. Das ist unser sportliches Ziel. Aber darüber hinaus möchten wir eben auch Sichtbarkeit schaffen und Sponsoren akquirieren und im Zuge dessen für bessere Bedingungen und fairere Gehälter für unsere Spielerinnen sorgen. Ganz generell gesagt wollen wir Wegbereiterinnen dafür sein, wie man in den Frauenfußball investiert und ihn in die Öffentlichkeit rückt. Denn der Männerfußball war auch nicht immer erfolgreich, aber da wurden von Anfang an Gelder in die Hand genommen und in den Fußball gesteckt und irgendwann wurde es zum Milliardengeschäft. Und diese Chance hat der Frauenfußball nie bekommen.

Spannend ist, dass sich dafür sechs Frauen aus ganz unterschiedlichen Bereichen quasi als Start-Up zusammengetan haben. Woher kam die Inspiration?
So etwas gab es in der Tat noch nie. Die Inspiration kam aus den USA vom Angel City FC, gegründet von Natalie Portman. Da haben sich Felicia Mutterer und Katharina Kurz (Journalistin und Gründerin Anm. d.Red.) gedacht, dass soetwas doch auch in Berlin möglich sein muss. Auch wenn man die Strukturen aus Amerika natürlich nicht einfach so auf Deutschland übertragen kann.

Übernahme Frauenteam FC Viktoria Berlin
Filiz Serinyel
Wollen die deutsche Sportwelt nachhaltig verändern: Tanja Wielgoß, Lisa Währer, Verena Pausder, Ariane Hingst, Katharina Kurz, Felicia Mutterer (v.l.n.r.).

Die Tatsache, dass ihr eine rein weibliche Investorinnen-Gruppe seid, gibt dem Projekt auch noch mal einen ganz anderen Dreh.
Da erfahren wir wirklich sehr viel positive Resonanz. Das Thema Frauen in Führungspositionen wird ja endlich gerade ein gesellschaftspolitisches Thema, das heißt, die Öffentlichkeit redet darüber. Das Spannendende an unserer Gruppe ist auch, dass wir so divers aufgestellt sind und sämtliche Bereiche abdecken: Sport, Medien, Marketing, unternehmerischer Bereich. Aber die Übernahme war nur der erste Schritt, unsere eigentliche Arbeit beginnt jetzt.

Was sind die nächsten Schritte?
Jetzt geht es darum Investorinnen und Investoren zu finden und ein Netzwerk aufzubauen. Wir haben das Ziel 51 Prozent weibliche Investorinnen dabeizuhaben. Die Resonanz darauf ist sehr groß, weil wir grade ein wichtiges Thema treffen, was viele interessiert.

War es eigentlich Absicht, die Übernahme genau zum Start der Europameisterschaft in England öffentlich zu machen?
Nein. Man muss bedenken, dass der Startschuss schon vor über zwei Jahren war, als der Grundgedanke schon da war. Ich selbst wurde vor 1,5 Jahren an Bord geholt. Ehe so ein Ding über die Bühne gebracht wird, mit Vertragsentwürfen und allem drum und dran, das dauert natürlich so seine Zeit. Wenn es nach uns gegangen wäre, wäre alles auch ein bisschen schneller gegangen und wir hätten es schon vorher bekannt gemacht. Dann hat es sich jetzt mit der Euro überschnitten. Ist jetzt so schlecht nicht.


Was sind konkret deine Aufgaben bei Viktoria?
Meine Kernkompetenz liegt in der sportlichen Beratung. Jetzt zu Beginn nutze ich natürlich auch meinen Bekanntheitsgrad, um Gesicht zu zeigen und über das Projekt zu berichten.

Du selbst kannst auf eine lange erfolgreiche Karriere zurückblicken, hast von 1996 bis 2011 in der DFB-Elf gespielt: Was hat sich seit deiner aktiven Zeit im Frauenfußball getan?
Der größte Fortschritt hat sich im athletischen Bereich getan. Der Sport ist deutlich schneller geworden. Das geht, weil sich die Trainingsbedingungen verbessert haben. Wir haben mittlerweile Spitzen-Vereine, die den Spielerinnen sehr professionelle Bedingungen bieten können. Das ist gut. Aber in der Breite noch lange nicht Standard. Man stelle sich mal vor was alles noch möglich wäre, wenn die Spielerinnen sich voll auf Sport konzentrieren könnten. Ich finde, das sieht man bei dieser Euro schon. Da ist Dynamik und Feuer drin, es macht Spaß diese Spiele anzuschauen.

Und in den anderen Bereichen?
Auch finanziell hat sich einiges getan. Mittlerweile kann man als Nationalspielerin deutlich mehr verdienen, als es früher der Fall war. Und natürlich haben die Mädels heute ganz andere Chancen sich darzustellen auf den Sozialen Netzwerken, sich zu vermarkten und dadurch selber eine Sichtbarkeit schaffen, die früher viel weniger da war. Aber alles geht sehr langsam, wir sind in Deutschland immer noch ziemlich hinterher. Und genau da wollen wir mit dem FC Viktoria ansetzen.

Mehr über Ariane Hingsts ganz perönlichen Bezug zum FC Viktoria und warum ihr von Anfang an klar war, dass sie einmal Fußballprofi werden möchte, lest ihr in unserer kommenden Heft-Ausgabe. Ab 16. September am Kiosk oder hier bestellbar.

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02 / 2022