Man vs. Fat
In dieser Liga geht es nur um eins: Abnehmen

Tore erzielen durch verlorene Kilos? Das geht bei Man vs. Fat Football. Die Abspeck-Liga hilft Männern dabei, einen gesunden BMI zu erreichen.
Man vs. Fat: Abnehmen durch Fußball
Foto: Juan Trujillo Andrades

Real Madras und Un-Athletico sind rivalisierende Teams, die auf derselben Seite stehen. Das liegt daran, dass dies Leyton im Osten von London ist, nicht Spaniens Primera División. Das hier ist Man vs. Fat Football, wo er wahre Gegner, nun ja, Fett ist.

Man vs. Fat: Abnehmen mit Fußball

Jeden Dienstagabend um 19.30 Uhr betreten die Spieler der acht Teams der Man vs. Fat Leyton Mini-League im Feel Good Too Sports Centre einen Raum neben den Kunstrasenplätzen für das wöchentliche Wiegen. Die meisten haben abgenommen, ein paar haben an Gewicht zugelegt und sind enttäuscht. Macht nichts, meint Coach Bob mit seinem US-amerikanischen Akzent, der seine positive Mentalität noch unterstreicht: Diese Woche werden sie wieder auf Kurs kommen.

Vom Wiegen mal abgesehen, macht das hier den Eindruck einer ganz normalen Männertruppe, die sich zum Fußballspielen trifft. Die Spieler kommen und gehen, wechseln Ausrüstung und Schuhe, essen, trinken und quatschen. Aber Man vs. Fat Football steht nur Männern mit einem Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 27,5 offen. Es gibt übrigens auch viele Deutsche, die dieses Kriterium erfüllen: Rund zwei Drittel der deutschen Männer sind übergewichtig (BMI ≥ 25 kg/m2), ein Viertel unserer Erwachsenen ist adipös (≥ 30 kg/m2).

Man vs. Fat: Abnehmen durch Fußball
Juan Trujillo Andrades
Die Spieler verbindet mehr als Kameradschaft – sie verfolgen ein gemeinsames Ziel: gesund Gewicht verlieren.

Bonustore durch verlorene Kilos

Mit zunehmendem Übergewicht steigt nicht nur das Risiko von Herz-Kreislauf- und Atemwegs-Erkrankungen, sondern auch das eines frühzeitigen Todes. Aus dem Grund können die Spieler bei Man vs. Fat Football mit ihren verlorenen Kilos Bonustore erzielen. Je mehr Spieler einer Mannschaft innerhalb von einer Woche abnehmen, desto mehr Tore erzielen sie – bis zum Maximum von fünf Toren.

Spieler, die in drei aufeinanderfolgenden Wochen an Gewicht verlieren, erzielen einen Hattrick, der verwirrenderweise nur ein Tor wert ist. Aber sie können drei Tore erzielen, wenn sie fünf Prozent ihres Startgewichts verlieren, und noch mal drei Tore bei einem Gewichtsverlust in Höhe von 10 Prozent. Sie können auch Eigentore kassieren, wenn sie ihr Startgewicht überschreiten. All dies bedeutet, dass eine Mannschaft, die auf dem Platz nur wenige Tore erzielt hat, immer noch triumphieren kann – vorausgesetzt, sie überzeugt auf der Waage. Oder wie Coach Bob es sagt: „Verlierer sind die wahren Gewinner.“

Eine Liga für Übergewichtige

Robert „Bob“ Stemagna, Personal Trainer und Ernährungscoach, wurde im November letzten Jahres bei Man vs. Fat Leyton eingestellt. Er ist darüber hinaus am staatlichen Diabetes-Präventionsprogramm beteiligt und kennt keine andere Initiative, die sich derart kreativ für die Gesundheit von Männern einsetzt wie Man vs. Fat. „Der Fußball ist das, was diese Jungs zusammenbringt“, sagt er und schiebt hinterher: „Die Gewichtsabnahme und die persönlichen Fortschritte sind das, was sie am Ball bleiben lässt.“

Wenn du das hier liest, werden mehr als 8000 Männer jede Woche an fast 200 Orten in ganz Großbritannien Man vs. Fat Football spielen, 90 Prozent von ihnen werden abnehmen. Seit Beginn der Initiative im Jahr 2016 haben die Spieler zusammengerechnet mehr als 181 437 Kilo verloren, das entspricht ungefähr 412.357 Fußbällen. Jede Mannschaft tritt mit fünf, sechs oder sieben Fußballern an, je nach Spielfeldgröße und Spielerverfügbarkeit. Gespielt wird eine halbe Stunde lang, einschließlich zwei Minuten Halbzeitpause. Es wird immer wieder ausgewechselt, damit sich jeder Spieler erholen kann. Die Mannschaftsgröße ist auf höchstens 11 Spieler begrenzt, damit jeder zum Zug kommt. Jedes Team darf in seinen Reihen zudem ein nichtspielendes Mitglied haben, das Bonustore erzielen kann, bis es genug Gewicht verliert (oder genügend Selbstvertrauen gewinnt), um mitzumachen.

Man vs. Fat: Abnehmen durch Fußball
Juan Trujillo Andrades
Einmal pro Woche vor Spielen müssen alle Kicker auf die Waage.

Die Mannschaft hilft Essgewohnheiten zu verbessern


Das Ballgeschick dieser Kicker in Leyton könnte unterschiedlicher nicht sein, aber das tut der guten Stimmung sowohl auf dem Platz als auch am Spielfeldrand keinerlei Abbruch. Schlechte Gewohnheiten der Spieler werden, so Coach Bob, oft durch Stress ausgelöst, den sie von ihren Jobs mitbringen. Er rät Spielern, die zum Stressessen neigen, einen Moment innezuhalten und über den Auslöser dafür nachzudenken: Hätten sie anders reagieren können? Was können sie tun, um eine solche Situation zu vermeiden?

Die größte Herausforderung bestehe darin, Jungs, die vom Weg abkommen, wieder auf Kurs zu bringen. Die Art von konsequenter Routine zu etablieren, die zu Verhaltensänderungen führt, erfordert Zeit und Geduld. Deshalb ermutigt er seine Schützlinge, sich kleine, erreichbare Ziele zu stecken. Es gibt Situationen, die für jeden in der Gruppe eine große Herausforderung darstellen. Dazu gehören zum Beispiel Familienfeiern. Aber da hat jeder Spieler seine eigene Geschichte. Sich für jede einzelne davon die Zeit zu nehmen, scheint zu funktionieren.

Ein Abnehmprogramm für männliche Bedürfnisse


Männer sind „unterversorgt“, sagt Matthew McDonald, Doktorand an der Curtin University in Westaustralien. Er erforscht, wie man Programme auf die männlichen Bedürfnisse zuschneiden kann. Ärzte verweisen Männer seltener an Gruppen wie Weight Watchers (WW) oder Slimming World – vielleicht weil sie denken, dass sie ungeeignet sind oder dass Männer ein solches Angebot nicht annehmen. Tatsächlich suchen Frauen doppelt so häufig gemischtgeschlechtliche Abnehmgruppen auf. Männer nehmen diese Programme unter Umständen als mit ihren Bedürfnissen unvereinbar wahr.

So werden Diäten in unserer Gesellschaft oft als etwas Weibliches gedeutet, was im Widerspruch zu einem Konstrukt von Männlichkeit steht, das sich auf Größe, Stärke und den Verzehr horrender Fleischmengen stützt. Vor ungefähr einem Jahrzehnt begann man, der geringen Beteiligung von Männern an Abnehmprogrammen Rechnung zu tragen. Seitdem entstanden immer mehr Konzepte, die speziell auf Männer zugeschnitten sind. McDonalds Strategie: Er verbindet den Australian Football mit der Idee von Football Fans in Training (FFIT), ein Programm, das zuerst an der Universität Glasgow entwickelt worden ist und in Schottland bereits seit vielen Jahren umgesetzt wird. Von dort aus wurde das Ganze nach Neuseeland und Kanada exportiert, wo Rugby bzw. Eishockey statt Fußball gespielt wird.

Die Idee zu Man vs. Fat


Ursprünglich begann Man vs. Fat ohne den Fußball als kostenloses digitales Magazin und Internetforum, gegründet vom Journalisten Andrew Shanahan. Der hatte über die Jahre immer mal wieder an Gewicht zugelegt und danach wieder abgenommen, doch nachdem er sich auf Gastrokritiken spezialisiert hatte, nahm er nur noch zu. Mit 32 Jahren wog er 108 Kilo und hatte damit einen BMI von 34. Er trat den Weight Watchers bei, fühlte sich aber als einziger Mann in der Gruppe unwohl, vor allem wenn Themen besprochen wurden, mit denen er nichts anfangen konnte – etwa natürliche Gewichtsschwankungen während der Periode.

Schockiert über den Mangel an Unterstützung für "normale Kerle" wie ihn, startete Shanahan 2014 eine Crowdfunding-Kampagne, um eine witzige, relevante Online-Plattform aufzubauen. Im Jahr 2015 war das Forum Man vs. Fat bereits 350 000 Mann stark, und Shanahan wurde von verschiedenen Gesundheitsinstitutionen ermutigt, sein Engagement ins wirkliche Leben zu übertragen. Zunächst wurde in Sitzungen von Man vs. Fat einfach das Weight-Watchers-Format reproduziert: Man saß in einem Raum und sprach über Diäten, nur eben unter Männern. Es war mühsam. Richard Crick, der damals für einen Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen an der Gruppensitzung teilnahm, sagt heute: „Als Männer sind wir äußerst schlecht darin, achtsam mit uns umzugehen. Aber aus irgendeinem Grund werden wir besser, wenn unser Handeln andere beeinflusst.“

Man vs. Fat Challenge für alle

Mittlerweile ist Crick der Leiter von Man vs. Fat Football. „Der erste Club unter diesem Begriff begann als 14-wöchiges Pilotprojekt. Auf 80 freie Plätze gingen 1000 Bewerbungen ein. Weitere Clubs folgten, oft auf Drängen von Mitgliedern des Forums. Im Jahr 2017 nahmen der englische Fußball-Dachverband (FA) und Sport England (SE), eine Einrichtung zur Förderung des Breitensports, mehr als 220 000 Euro in die Hand, um in benachteiligten Gebieten 20 Clubs zu gründen und deren Mitgliedern anfallende monatliche Beiträge ganz oder teilweise erlassen zu können.

Richard Crick glaubt, dass sie noch viel mehr tun können. Er will mehr Sportarten in mehr Ländern anbieten, plant zudem Kochbücher und eine Youtube-Serie. Vergangenen Dezember wurde die Man vs. Fat Challenge aus der Taufe gehoben, ein Online-Programm für die Männer, die nicht Fußball spielen wollen oder im Schichtdienst arbeiten müssen, aber mit Hilfe eines Trainers gern abnehmen möchten. Wie die Fußballer können auch sie ein virtuelles Fitness-Studio nutzen und auf eine Plattform für mentale Gesundheit zugreifen.

Man vs. Fat: Abnehmen durch Fußball
Juan Trujillo Andrades
Wer bei Man vs. Fat Football kickt, lässt sich nicht aufhalten – schon gar nicht von seinem Gewicht.

Mit den Teamkameraden sprechen statt Frustessen


James „Stan“ Stanford heißt der Trainer von Man vs. Fat Newport. Stan hatte den Fußball stets geliebt, war aber nie gut darin. Nun war er auch noch fett. Seine Angst, dass man sich bei Man vs. Fat Football über ihn lustig machen könnte, wurden dank des integrativen Umfelds zerstreut. In knapp vier Jahren hat Stan rund 35 Kilo abgenommen, vor allem dadurch, dass er die Kalorienzufuhr einschränkte und mit seinen Teamkollegen sprach, wenn in seinem Leben was schieflief, anstatt sich mit Futtern zu trösten.

Nachdem Stan kürzlich ein Auswärtsspiel gegen Man vs. Fat Bath bestritten hatte, fragte ihn sein Dad, wie der heute 36-Jährige es geschafft habe, so viel besser Fußball zu spielen als früher. Stan führt diese Leistungssteigerung nicht nur auf seinen Gewichtsverlust zurück, sondern auch auf sein hinzugewonnenes Selbstvertrauen. In Newport sind alle Trainer und mehrere Spieler ausgebildete Ersthelfer für psychische Gesundheit. Ihr Wochenendangebot unter dem Titel Espresso Yourself – ein Kaffee, ein Spaziergang, ein Gespräch – soll nun an jedem Standort etabliert werden.

Gewichtsverlust und psychische Gesundheit

Die Idee dazu kam von Spieler Gavin Edwards, der auf die Frage, wie es ihm gehe, nicht nur ehrlich antwortete, sondern auch um ein offenes Ohr bat: „Eigentlich nicht so gut. Macht es dir etwas aus, wenn ich mit dir rede?“ Edwards stellte fest, dass auch andere Spieler reden wollten, also fragte er Stan, ob der Verein helfen könne. Seitdem ist Espresso Yourself zu einem echten Hit geworden. Wegen des stimmungsaufhellenden Effekts findet es inzwischen im Park statt.

Newport, 2021 Gewinner des nationalen Turniers, wurde dieses Jahr bei den Man vs. Fat Awards als Club des Jahres ausgezeichnet. Ausschlaggebend dafür war nicht allein der kombinierte Gewichtsverlust von 850 Kilo in 12 Monaten, sondern insbesondere Newports Fokussierung auf die psychische Gesundheit seiner Mitglieder. Schließlich, sagt Stan, gehe es zuerst um den Mann, dann ums Fett – der Fußball sei „das Sahnehäubchen obendrauf“.

Denn gespielt wird nur 30 Minuten die Woche, der wahre Kampf sind die übrigen sechs Tage und 23,5 Stunden. Kurz: Man vs. Fat ist viel mehr als nur Fußball: Es geht darum, 80 Freunde zu haben, auf die man sich verlassen kann.

Dieser Artikel erschien in Deutschland zuerst in Men's Health Ausgabe 10/2022.

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