Am 20. Juli 2023 startet die Fußball-WM der Frauen in Australien und Neuseeland. Mit von der Partie: eine der besten deutschen Mittelfeld-Spielerinnen Lena Oberdorf. Wir trafen die 21-Jährige vom VfL Wolfsburg im Vorfeld mit ihrem Kollegen (und Rivalen), dem 28-jährigen Nationalspieler Leon Goretzka vom FC Bayern, persönlich.

Wer ist Lena Oberdorf?
Die 21-Jährige spielt seit der Saison 2020/21 für den VfL Wolfsburg im Mittelfeld. Die „beste Nachwuchsspielerin der Europameisterschaft 2022“ in England gehört seit 2018 zum Kader der deutschen A-Nationalmannschaft. Die gebürtige Gevelsbergerin (nahe Wuppertal in NRW) kam über ihren älteren Bruder Tim zum Fußball, der bei Fortuna Düsseldorf ebenfalls in der (zweiten) Bundesliga spielt. Ihre Aussage bei der EM „Frauenfußball, Männerfußball. Es ist ein Fußball“ wurde beim Deutschen Fußball-Kulturpreis zum Fußballspruch des Jahres 2022 gewählt. Lena ist Teil der aktuellen adidas Kampagne "Play Until You Can't Look Away" und wird dort als "Ikone des Fußballs" betitelt.

Und wer ist Leon Goretzka?
Der Sportler des Jahres 2020 spielt seit der Saison 2018/19 für den FC Bayern im Mittelfeld. Der gebürtige Bochumer hat 3 Schwestern und gehört seit 2014 zum Kader der deutschen A-Nationalmannschaft. In der Coronazeit gründete der 28-Jährige zusammen mit seinem Spieler-Kollegen Joshua Kimmich die Initiative „We Kick Corona“, mit der die die beiden über 6,5 Millionen Euro für soziale und karitative Einrichtungen sammelten.
Lena, du wurdest für deine Aussage "Frauenfußball, Männerfußball. Es ist ein Fußball" 2022 mit dem deutschen Fußball-Kulturpreis ausgezeichnet. Wie konnte es jemals zu dieser Unterscheidung kommen, was denkst du?
Lena: Da müssen wir uns nichts vormachen, wenn man sich früher Frauenfußball angeschaut hat, war es einfach echt langsam. Aber wenn ich mir jetzt Männerfußball der 60er-Jahre angucke, denke ich auch nicht gleich „Wow“. Man muss jetzt die Entwicklung sehen, die wir in den letzten Jahren gemacht haben und deswegen habe ich diesen Satz rausgehauen.
Leon, warum kam es deiner Meinung nach zu den unterschiedlichen Begriffen?
Leon: Ich würde der Unterscheidung in der Begrifflichkeit gar nicht so viel Gewicht geben. Man spricht von Fußball und gut. Für mich ist das Ganze gar kein großes Thema, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Was glaubt ihr fehlt noch, damit die Öffentlichkeit auch nur noch von einem Fußball spricht?
Leon: Die letzten Jahre sprechen für sich, die Frauen haben im Fußball ihren Teil erledigt, spielen erfrischenden, taktisch spannenden und auch erfolgreichen Fußball. Für mich geht es weniger um die Begrifflichkeit, sondern mehr um die Akzeptanz. Und da können wir alle unseren Beitrag leisten, dass die Frauen noch erfolgreicher werden.
Lena: Nach der EM im letzten Jahr (die deutschen Frauen belegten den 2. Platz, Anm. d. Red.) war das Interesse an uns als Person und nicht nur als Spielerin plötzlich da. Es passiert also schon viel in den Medien. Ich finde jedoch, dass die Übertragung professionalisiert werden muss. Beim letzten Spiel, das ich mir angeschaut hatte – Essen gegen Bayern – lag die Perspektive komplett auf den Beinen und ich frage mich: Warum kann man das nicht normal filmen, so wie bei den Männern auch? Das sieht dann nochmal ganz anders aus, auch für den Zuschauer.
Woran liegt das?
Lena: Vielleicht hat man einfach vergessen, da den nächsten Sprung zu machen. Dadurch, dass unser Spiel athletischer, schneller wird, muss man mit den Surroundings auch mit der Schnelligkeit mitgehen.
Leon, siehst du es als deine Aufgabe an, die Frauen-WM noch mehr zu promoten oder ist die schon präsent genug?
Leon: Die letzten Turniere haben gezeigt, dass die Mannschaft in der Lage ist, eine Euphorie im ganzen Land zu entfachen. Und natürlich schaue ich als Fan zu, wenn die Frauen bei der WM spielen.
Könntest du dir vorstellen, eure Instagram-Kanäle zu tauschen, damit Lena deine Reichweite bekommt? Aktuell liegt die gerade bei 2,3 Millionen im Vergleich zu 252.000 …
Leon: Wenn sie damit keinen Unsinn anstellt – warum nicht?
Wie sieht es …
Lena: Warum hast du mich jetzt nicht gefragt, ob ich mit dem Tausch einverstanden wäre?
Guter Einwand. Bist du einverstanden?
Lena: Ja, warum nicht?
Leon: Wenn ich keinen Unsinn damit anstelle …

Wie sieht es mit eurer Vorbereitung aus – trainieren Frauen und Männer zusammen?
Lena: Bis zu einem gewissen Alter ja, dann geht’s in die Frauen- beziehungsweise Männermannschaft und man ist separat.
Die Inhalte sind doch sicher ähnlich, könnt ihr da nicht voneinander lernen? Beim Krafttraining zum Beispiel?
Lena: Gerade beim Krafttraining gibt es große Unterschiede. Unser Körper ist ja auch anders gestrickt, schon wegen der Hormone. Das Risiko einen Kreuzbandriss zu bekommen ist beispielsweise viel höher, daher müssen wir viel mehr prophylaktisch arbeiten.
Leon: Krafttraining ist sehr individuell, da unterscheidet man von Spieler zu Spieler. Da könnte man eher darüber nachdenken, dass man auf dem Platz im Training miteinander was ändert.
Lena: Vielleicht bei so kleineren Spielformen, 4 gegen 2 oder 5 gegen 2. Selbst bei der Taktik ist es nicht so einfach. Nehmen wir den Einwurf. Du musst das Feld abdecken bis zu einer gewissen Grenze, die Männer werfen halt …
Leon: Ich nicht. Ich kann keinen Einwurf (lacht).
Lena: Ja, hatte ich gesehen. Aber die meisten Herren werfen weiter, wir können den Raum relativ eng machen. Deswegen muss man auch taktisch differenzieren.
Gibt es eine andere Möglichkeit, wie Spielerinnen und Spieler den einen Fußball leben könnten?
Leon: Es wäre klasse, wenn mehr Teams an einem Ort trainieren könnten. Beim FC Bayern ist dies etwas schwieriger, weil die Frauenmannschaft meist am Campus trainiert und spielt und wir an der Säbener Straße oder in der Allianz Arena sind (die Distanz zwischen den beiden Trainingsorten beträgt 17 Kilometer, Anm. der Red.). Eine gemeinsame Kantine oder ein Forum, in dem man sich austauschen kann, würde uns natürlich enger zusammenwachsen lassen. Das gilt aber nicht nur für die Frauen-, sondern auch für die Jugendmannschaften.
Wo liegt der Benefit?
Leon: Wenn wir zum Beispiel öffentliches Training haben, sind da 20 Kamerateams. Dann wäre der Weg auch nicht weit, mal eben zum Trainingsplatz herüberzugehen. Es ist kein Geheimnis, dass man sich damit gegenseitig pushen kann. Zum Beispiel mit Content für Social Media oder gemeinsamen Interviews. Die räumliche Trennung macht es zwangsläufig komplizierter, als wenn man sich jeden Tag über den Weg läuft.
Wie ist das bei dir in Wolfsburg, Lena?
Lena: Dort ist es deutlich einfacher, weil es klein ist. Da grüßt man sich als Kollegen auf der Straße und geht auch mal was miteinander essen. Wir haben ein junges Team, sind im gleichen Alter, da klappt es eigentlich ganz gut.
Könntest du dir vorstellen, einen Trainer, statt einer Trainerin zu haben? Und du umgekehrt, Leon?
Lena: Ja, ich finde, es sollte nach Leistung gehen. Wenn die die Lizenzen haben, Fußball verstehen und vernünftig Fußball spielen wollen, dann ist es mir egal, ob es ein Mann oder eine Frau ist.
Leon: Auch, wenn dies heute noch schwer vorstellbar ist, wird dies sicherlich in Zukunft eher möglich sein als noch vor 10 oder 20 Jahren. Aber dafür muss die Frauen-Bundesliga auch selbst ein paar Schritte mehr in diese Richtung gehen.
Lena, gab es in deiner Karriere schon mal den Moment, in dem du gedacht hast – der Fußball, den Frauen spielen, ist genauso anerkannt wie der von den Männern?
Lena: Ich bin keine Spielerin, die mit allem unzufrieden ist und meint, wir brauchen mehr dies und jenes. Ich will eigentlich nur auf den Platz gehen und Fußball spielen, dann ist gut. Trotzdem finde ich, dass wir gerade in der letzten Zeit viel Anerkennung gewonnen haben, zum Beispiel mit den deutschen Fans, die einfach dastehen.
Gab es Situationen, in denen du dich nicht so anerkannt fühltest?
Lena: Mir fällt keine direkte ein. Aber natürlich gibt es viele Kleinigkeiten, die man beheben könnte. Zum Beispiel das Pokalfinale, da wird nach dem Schlusspfiff direkt ausgeschaltet. Bei den Herren wird noch wer weiß wie lange die Siegesfeier ausgestrahlt. Und vorher gibt es eine halbe Stunde Vorbericht, bei uns wird ab Punkt Anpfiff übertragen.
Welche Chancen hat das deutsche Team bei der bevorstehenden WM?
Lena: Ich denke große Chancen, da wir gezeigt haben, was wir können: Als Team und auch im Turnier funktionieren. Klar, der Druck ist ein anderer. Vor der EM hat niemand so richtig damit gerechnet, dass wir ins Finale kommen. Jetzt wird was von uns erwartet und wir müssen einfach leisten. Zum Glück haben wir da noch ein paar Lehrgänge, in denen wir an den ein oder anderen Dingen feilen können. Aber bereit sind wir auf jeden Fall.
Deine Prognose zur Platzierung lautet?
Lena: Wenn ich nicht Erste werden will, muss ich da nicht hinfahren.
Und deine, Leon?
Leon: Ich fand die EM richtig beeindruckend und wenn man es schafft, das wieder abzuliefern, hat man gute Chancen. Und klar, ich drücke alle Daumen!
Die drücken wir auch! Auf ein spannendes Turnier mit vielen deutschen Toren – und Siegen. Am 24.07.23 bestreitet die deutsche Elf ihr erstes Spiel gegen Marokko, am 30.07.23 geht es gegen Kolumbien, am 03.08.23 gegen Südkorea. Viel Erfolg!